*Werbung / Rezensionsexemplar: Das Buch wurde mir kosten- und bedingungslos von suhrkamp nova zur Verfügung gestellt. Vielen Dank!
Über das Buch
Titel: Eine Farbe zwischen Liebe und Hass | Originaltitel: Copperhead | Autor: Alexi Zentner | Übersetzer: Werner Löcher-Lawrence | Verlag: suhrkamp nova |
Preis: 18,00€ | Genre: Rassismus | Format: Paperback | Seitenanzahl: 376 |
ISBN: 978-3-518-46996-5 | Original Erscheinungsdatum: 2019 | Deutsches Erscheinungsdatum: 2020 |
Seine Familie glaubt an die Überlegenheit der weißen Rasse, und damit scheint für den jungen Jessup alles entschieden. Doch nach der Rückkehr seines Stiefvaters aus dem Knast und einem tragischen Unfall muss er endlich selbst Antworten finden auf die Fragen: Was glauben, wem folgen, wen lieben?
Erster Satz
"Wütend reißt er am Steuer."
Autor
"Alexi Zentner wuchs im Staat New York auf. Als er achtzehn war, verübten Neonazis einen Brandanschlag auf sein Zuhause - die Eltern waren politisch aktiv. Eine Farbe zwischen Liebe und Hass gibt eine literarische Antwort auf die Ereignisse von damals. Sein Roman Die Hummerkönige war ein weltweiter Erfolg. Als Ezekiel Boone veröffentlichte er die Reihe Die Brut, die ebenso Bestsellerstatus erreichte."
Cover und Titel
Das Cover zeigt die amerikanische Flagge im Hintergrund und im Vordergrund den Titel in großen Buchstaben. Es wirkt stimmig, authentisch und passend, außerdem macht es neugierig auf den Inhalt des Buches.
Meine Meinung
Jessup ist 17 Jahre alt, ist gut in der Schule, spielt gerne Football und hat eine tolle Freundin. Alles könnte so einfach sein - wenn sein älterer Bruder nicht im Gefängnis sitzen würde, weil er zwei schwarze Jungs getötet hat und sein Stiefvater wegen Beihilfe ebenfalls eine Strafe absitzen muss. Seine Familie gehört der "Heiligen Kirche des Weißen Amerikas" an, glaubt an das Christentum, an die Überlegenheit der weißen Rasse und an White Power. Sie sind Rassisten. Und das weiß die ganze Stadt. Nur Jessup steht irgendwie zwischen den Stühlen und weiß nicht so richtig, was er glauben soll. Einerseits liebt er seine Familie, er will sie nicht enttäuschen und denkt er nicht auch, dass sie mit ihren Ansichten Recht haben? Andererseits ist doch seine Freundin schwarz und er liebt er - wie kann sein Rassismus also richtig sein? Eine Zwickmühle, die ihn immer tiefer mit sich zieht...
„Du hast keine Wahl, weißt du? Du wirst geboren, wenn du geboren wirst, deine Eltern sind deine Eltern, und die Dinge geschehen, wie sie geschehen. Einiges davon ist gut, einiges nicht. Ich kann dir mein ganzes Leben erzählen, aber wenn du nicht dabei warst, wenn du nicht wie ich großgezogen wurdest, ergibt es keinen Sinn für dich."
S. 137
Der Schreibstil des Autors ist intensiv, aber auch etwas gewöhnungsbedürftig: die Sätze sind recht kurz und abgehackt, bestehen größtenteils aus Hauptsätzen und manchmal hat das Gefühl, als ob etwas fehlen würde. Hat man sich aber daran gewöhnt, ist es irgendwie passend zum Protagonisten. Die sehr langatmige und detaillierte Footballszene relativ am Anfang des Buches war mir zu ausführlich, da ich die Regeln des Spiels nicht kenne und daher auch keine Ahnung hatte, wovon der Autor da überhaupt schreibt. Das muss man einfach über sich ergehen lassen - es wird besser und es ist auch wichtig für den weiteren Verlauf des Buches ;)
Die Charaktere sind sehr komplex und vielschichtig, insbesondere natürlich Jessup. Er ist größtenteils ein sympathischer Charakter, der aber sehr zerrissen ist zwischen den Ansichten seiner Familie und der Indoktrination der White Supremacy-Kirche, sowie seiner eigenen Unsicherheit gegenüber diesen Themen. Er spürt die gesellschaftlichen Auswirkungen am eigenen Leib, denn jeder weiß von der Zugehörigkeit seiner Familie und den Gefängnisstrafen seines Bruders und seines Stiefvaters. Und jeder geht automatisch davon aus, dass auch Jessup so ist. Das ist natürlich frustrierend und oft genug weiß er nicht, was das Richtige ist. Er hat aber auch negative Seiten, denkt er sei kein Rassist, obwohl auch in seinen Aussagen und Gedanken manchmal Vorurteile und rassistische Gedankengänge mitschwingen, wirkt manchmal etwas abgebrüht (zum Beispiel beim Jagen), hinterfragt seinen besten Freund Wyatt überhaupt nicht und hat keinerlei Skrupel, einen tragischen Unfall zu vertuschen, um sich selbst zu schützen. Aber auch sein Stiefvater, der sehr eindeutige Tätowierungen hat und eng mit der Kirche verbunden ist, der im Gegenzug dazu aber gleichzeitig ein guter Familienvater und Ehemann ist, der sich gut um diejenigen kümmert, die er liebt. Dadurch erkennnt man sehr schnell, dass die Welt eben nicht schwarzweiß ist, sondern sehr, sehr viele Grauschattierungen hat.
„Es ist egal, wie sie sich nennen und ob sie so tun, als wären sie eine Kirche. Dass sie sagen, sie wären wahre Christen. Sie sind Rassisten. Und wenn du dich zu ihnen stellst, nein, wenn du dich nicht gegen sie stellst, bist du genauso schlimm. Es ist nicht kompliziert. Es ist einfach. Entweder bist du auf ihrer Seite, oder du bist gegen sie. Da gibt es keine Abstufungen, nichts dazwischen."
S. 350
Gerade am Anfang war ich sehr hin und her gerissen und wusste nicht, was ich von dem Buch halten sollte. Mal hätte ich es gerne an die Wand geworfen, weil ich es kaum ertragen konnte, einen Rassisten, einen Nazi, sympathisch zu finden, dann wieder fand ich es so unglaublich toll und fesselnd, dass ich es nicht aus der Hand legen wollte. Keine Frage: dieses Buch ist aufwühlend! Es ist unglaublich verwirrend, diese Geschichte zu lesen, weil es eben "aus der anderen Perspektive" erzählt wird - aus der Sicht des Weißen. Und so kommt es einem häufig so vor, als ob hier die Weißen die Opfer sind, die die leiden müssen und unfair behandelt werden (was ja durchaus auch vorkommen kann, das will ich nicht bestreiten, es ist nur eben ungewöhnlich). Alle Bücher zum Thema Rassismus und Diskriminierung, die ich bisher gelesen habe - und das waren einige - waren aus der gegenteiligen Sicht geschrieben. Da war es "einfach", weil klar war, wer der "Böse" war, auf wen man wütend sein musste. Hier ist es nicht ganz so offensichtlich. Denn das Buch zeigt die verschiedenen Seiten von Rassismus und dass Diskriminierung auch umgekehrt funktionieren kann. Hass ist keine Frage von Hautfarbe, Religion, Geschlecht, Herkunft oder gesellschaftlicher Zugehörigkeit, Hass kann jeden treffen. Außerdem wird auch deutlich, wie schwer es ist, gegen Vorurteile anzukommen - für jeden von uns. Und wie groß ein Dilemma sein kann, wenn man sich zwischen der Liebe und Loyalität zu seiner Familie und der Liebe zu seiner Freundin und der Vernunft entscheiden muss. Jessup ist in einer Welt und einer Familie aufgewachsen, die ihn auf eine bestimmte Weise erzogen hat, er kennt es nicht anders und dennoch versucht er, anders zu sein, er versucht - zumindest teilweise - aus dieser Denkweise auszubrechen.
„Selbst aus der Entfernung kann er sehen, wie wütend sie sind. Ihre Rufe sind ein zorniges Fauchen. Und zum ersten Mal in seinem Leben sieht Jessup, was für Witzfiguren sie sind. Wie erbärmlich sie aussehen Diese Wut, die sie ausstrahlen."
S. 365
Keine leichte Kost, nicht einfach zu lesen, aber ein Buch, das einen noch lange beschäftigen wird. Gerade in der heutigen Zeit, in der das Thema Rassismus und Diskriminierung durch die Afd leider immer mehr Bedeutung bekommt und es scheinbar beinahe wieder salonfähig wird, Nazi zu sein, ist dieses Buch wichtiger denn je, denn es behandelt nicht nur diese Themen ohne erhobenen Zeigefinger und zeigt die vielen Verstrickungen dieser Gemeinschaft, sondern ist auch eine Gesellschaftskritik der heutigen Zeit.
Fazit
Ein packender Roman über Rassismus, Diskriminierung, Familie, Loyalität, Religiosität, Schuld, Identität, das Erwachsenwerden und Vorurteile. Trotz ein paar langatmiger Szenen ist das Buch insgesamt fesselnd und spannend, besteht aus vielschichtigen Charakteren und wird noch lange nachhallen.